Kinder und TCM: Impfen

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Dieser Artikel erschien zuerst 2011 im YinYang Journal des Fachverband TCM Schweiz (ehemals SBO-TCM)

Autorin: Nina Zhao-Seiler


Impfen oder nicht? Diese Frage wird heute in Naturheilkundekreisen und somit auch in der TCM bei uns in „der westlichen Welt“ sehr heiss diskutiert. Das Thema, ja eigentlich das ganze Konzept „Impfung“ fordert uns dazu heraus, uns zu überlegen: was bedeutet für uns eigentlich „gute Medizin“? Wenn wir zu den Aussagen „Besser Vorbeugen als Heilen“ „Nicht die Krankheit bekämpfen sondern das Abwehrsystem stärken“ stehen, müssten wir eigentlich von Impfungen begeistert sein! Aber das sind wir nicht. Woran liegt das? Liegt es daran, dass wir insgeheim ein darwinistisches Konzept der menschlichen Auslese im Geiste pflegen im Sinne von „der Stärkere siegt“? Nach dem Motto: diejenigen, die auch ohne Impfung überleben, sind die, die zum Weiterleben bestimmt sind, also Infektionskrankheiten als Ausleseverfahren? Wohl kaum. Oft höre ich das Argument, bestimmte Infektionskrankheiten durchzumachen sei für die Entwicklung des Kindes wichtig. Und es sei deshalb ungünstig sie durch Impfung zu vermeiden. Ich bin diesem Argument in der chinesischen Literatur nachgegangen und habe dort auch Entsprechungen gefunden. Diese stammen jedoch alle aus der Zeit VOR der verbreiteten Anwendung von Impfungen. Das heisst konkret, dass es gar keine Alternative gab: entweder man überstand die Krankheit oder man starb daran. Bei den sogenannten Kinderkrankheiten ist die Wahrscheinlichkeit, sie zu überstehen und wieder vollständig gesund zu werden viel grösser, wenn man die Krankheit im Kindesalter durchmacht. Das heisst, wenn man sie schon durchmachen muss, dann am Besten im Kindesalter. Das Bedürfnis, für diese bedrohliche Situation zusätzlich noch eine weniger defensive Begündung zu suchen, kann ich gut nachvollziehen. Dies und die offensichtliche Tatsache, dass das Durchstehen von schweren Erkrankungen im Allgemeinen bei Kindern oft Entwicklungsschübe manchmal sogar Entwicklungssprünge auslösen, hat vermutlich zum oben erwähnten Argument geführt. Daraus jedoch abzuleiten, dass es förderlich sei, Infektionskrankheiten durchzumachen, auch wenn sie mit einer Impfung (durch Vorwarnung des Immunsystems) weitgehend vermieden werden kann, ist ein sehr grosser Schritt. Fehlt den Kindern, die geimpft sind nun tatsächlich etwas in ihrer Entwicklung? Meiner –bescheidenen- Erfahrung nach kann ich das nicht bestätigen. Aus theoretischer Sicht der chinesischen Medizin entwickeln sich Kinder ganz klar angetrieben von ihrer ererbten Nierenkraft/Nierenjing, die ergänzt wird durch die aufgenommene Energie aus Luft, Wasser und Nahrung. Die geistig-seelische Entwicklung (die Stabilisierung des Shen) wird geprägt durch die Eindrücke, die das Kind über seine Sinnesorgane aus der Umwelt empfängt und aufnimmt.. Also auch hier keine Abhängigkeit vom Durchmachen bestimmter Krankheiten. Ein weiteres Argument ist, das Impfungen dem Kind direkt schaden. Was ich selbst hierzu in meiner Praxis beobachte ist, dass Impfungen als „Trigger“ wirken können: Kinder, die nach einer Impfung zum ersten Mal ein Ekzem entwickeln, Kinder, die nach einer Impfung zum ersten Mal einen asthmatischen Zustand entwickeln, oder Kinder, die nach einer Impfung überhaupt irgendwie gereizt, unruhig, müde, angeschlagen sind. Daneben der Grossteil der Kinder, die keinerlei sichtbare Reaktionen auf Impfungen zeigen. Offensichtlich können Impfungen Enzündungsreaktionen im Körper hervorrufen und den Organismus stressen. Ähnlich wie dies eben auch Infektionskrankheiten (gegen die ja geimpft wird) tun, nur sehr viel weniger heftig (weswegen ja geimpft wird).

Diese Enzündungsreaktionen können in den allermeisten Fällen mit Ruhe einerseits und einer kurzen geeigneten Behandlung mit TCM oder anderen naturheilkundlichen Mitteln um das Immmunsystem zu unterstützen andererseits, beruhigt werden. Daher sehe ich auch hier keinen triftigen Grund, gegen eine Impfung zu sein.

Was jedoch weniger einfach zu klären ist, ist die Frage, was Impfstoffe, ausser dem Vermeiden der jeweiligen Infektionskrankheit, und vorübergehendem leichtem Stress des Immunsystems noch im Körper bewirken. Direkte, sofortige allergische Reaktionen gegen einen bekannten Bestandteil eines Impfstoffes, .z.B. Hühnereiweiss lassen sich inzwischen gut vermeiden, weil nur noch wenige Impfstoffe Hühnereiweiss enthalten und die meisten Ärzte diesbezüglich sensibilisiert sind. Andere Hilfsstoffe lösen üblicherweise keine Sofortreaktionen aus, es ist daher nicht möglich herauszufinden, ob sie eine negative Wirkung auf den Körper haben. Es sind Stoffe, gegen die generell nur sehr selten Allergien bestehen. Genauso wie bei Hilfsstoffen in z.B. Lebensmitteln oder Medikamenten ist es aber schwierig herauszufinden, was genau die Langzeitwirkungen solcher Stoffe im Körper sind. Sicherlich nehmen wir mit Lebensmitteln und Medikamenten mehr solche Hilfsstoffe auf als mit Impfungen. Bei Impfungen werden diese jedoch meist direkt ins Blut gebracht, also nicht vorher „verdaut“. Eine weitere schwierige Frage bei der Beurteilung von Impfungen sind die Wirkstoffe der Impfung selbst. In den letzten Jahren wurden die Anzahl Impfungen, die in einer Dosis verabreicht wird stetig erhöht sowie gleichzeitig der Impfzeitpunkt verfrüht, das heisst dass jüngere Kinder gegen mehr verschiedene Krankheiten gleichzeitig geimpft werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Kinder können mit deutlich weniger Aufwand(weniger Arztbesuche) sowohl für Ärzte wie für Eltern geimpft werden und sind schon zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben vor den geimpften Krankheiten geschützt. Auch nehmen sie natürlich mit weniger Impfdosen weniger häufig die im Impfstoff enthaltenen Hilfsstoffe zu sich. Die Frage, die sich jedoch stellt ist: ab welcher Anzahl Impfungen in einer Dosis ist die Abwehr des Körpers überfordert? Gibt es überhaupt eine solche Grenze oder ist die Dosierung so tief, dass das Immunsystem wie bei der Aufnahme von anderen Vielstoffgemischen wie Nahrung, Luft, mit nahezu unbegrenzt vielen Stoffen umgehen kann? Eine Studie mit ca 1000 Teilnehmenden zum Thema „Vergleich von Nebenwirkungen bei Einfachimpfungen und Mehrfachimpfungen“, welche allerdings nur bei Erwachsenen durchgeführt wurde ergab eine ca 50% grössere Nebenwirkungsbelastung bei Mehrfachimpfungen, allerdings nur für NW relativ leichter Art, wie Müdigkeit, Erschöpfung, Erkältung, geringere Leistungsfähigkeit.(Bei schwereren NW zeigte sich kein deutlicher Unterschied) Das ist eigentlich aus Sicht der TCM wie auch mit „common sense“(=gesundem Menschenverstand) zu erwarten: Mehr Herausforderung für die Abwehr führt zu grösserer Erschöpfung und vorübergehender Infektanfälligkeit. Auch bei Kindern ist die am Häufigsten beobachtete Nebenwirkung von Impfungen Abgeschlagenheit, Erkältungszeichen. Die Frage der Grenze der Verträglichkeit von Mehrfachimpfstoffen ist bisher nicht geklärt. Was wir beobachten können, ist das, woran wir uns in der TCM orientieren. In meiner Praxis, in der ich einen relativ grossen Anteil Kinder behandle, ist daher mein zentraler Rat an Eltern: üben Sie Ihr Kind zu beobachten (natürlich nicht im ausspionierenden Sinne), damit Sie wahrnehmen, wenn es nicht so fit ist und z.B. ein Impftermin deshalb am Besten verschoben wird, oder damit Sie mich für eine Behandlung anrufen können, wenn das Kind nach einer Impfung sehr angeschlagen ist. Ich bin der Meinung, dass wir als TCM Praktizierende einiges in der Hand haben, um Kinder (und auch Erwachsene) bei körperlichem Stress infolge von Impfungen effizient zu unterstützen. Natürlich können wir auch ungeimpfte Kinder und Erwachsene behandeln, ihr Immunsystem wo nötig dabei unterstützen, Infekte zu bekämpfen. Ihre Wurzel stärken(fu zheng). Bisher habe ich jedoch den Eindruck, dass wir gegen die Allermeisten der Erkrankungen, gegen die geimpft wird, deutlich weniger effizient und nebenwirkungsarm wirken können als dies die Impfung tut. Etwas anderes zu behaupten, finde ich fahrlässig.

Wenn die Entwicklung von Impfstoffen gegen Krankheiten wie Windpocken stärker betont wird, als die von Impfstoffen gegen ungleich viel bedrohlichere Krankheiten, oder wenn sich herausstellt, dass der Umgang mit saisonalen Impfstoffen, wie der Grippeimpfung weniger von Vernunft als von Chaos geregelt wird, wie es bei der sogenannten Schweinegrippe aussah, zeigt das einfach noch deutlicher, wie wichtig es generell ist, genau hinzuschauen: was kann ich mir und meinem Kinde zumuten, wozu bin ich bereit und fähig und habe die Zeit dazu (denn krank sein auszuhalten, durchzustehen, braucht Zeit und Pflege). Es ist ja nicht möglich, sich genau auszusuchen, wann und wie, wir und unsere Kinder krank werden oder nicht. Aber da, wo wir etwas entscheiden können, sollten wir das auch bewusst und überlegt tun. Dazu gehört nicht nur, sich zu Hause selbst damit auseinanderzusetzen, sondern auch das offene Gespräch mit den Kinder- Allgemeinärzten zu suchen, und wenn nötig zu verlangen. Sich nicht mit kurzen Pauschalabspeisungen zufrieden zu geben bzw dann in eine trotzige Abwehrhaltung zu gehen (nach dem Motto „Impfen ist eh Scheisse“). Einen Teil solcher Gespräche können auch wir als Therapeuten mit Eltern führen, zusätzlich können wir sie dazu ermutigen, von ihren Ärzten ein differenzierendes Gespräch zu verlangen. Was meiner Meinung nach nicht den Konzepten der TCM und auch nicht jenen der Vor- sozialistischen oder sogar Vor-modernen chinesischen Medizin entspricht, ist eine pauschale Verweigerungshaltung gegenüber medizinischen Möglichkeiten, schwere, z.T. tödliche Krankheiten zu vermeiden. Wir TCM Leute haben von der chinesischen medizinischen Geschichte her übrigens einen besonderen Bezug zum Thema Impfen: Die Idee der Impfung ist in China schon sehr alt, wahrscheinlich sogar mit am Ältesten. Die Erkenntnis, dass vor allem epidemische Infektionskrankheiten von unsichtbaren Erregern hervorgerufen werden, wurde schon vor knapp 2000 Jahren aufgeschrieben. Aus der Ming Zeit(1368-1644), in der die Pocken in China weit verbreitet waren, stammen erste Überlieferungen von „Impfversuchen“ bei welchen Gesunde in den Kleidern von Kranken schliefen und danach an milderen Formen der Pocken erkrankten und Immunität erlangten. Auch aus dieser Zeit stammen erste Berichte von Versuchen mit Inokulation, d.h. Absonderungen aus Pockenpusteln wurden Gesunden auf die angeritzte Haut gestrichen, woraufhin diese wiederum an milderen Pocken erkrankten und dadurch Immunität erlangten. Dieses Inokulationsverfahren verbreitete sich in der Qingzeit, also ab Mitte des 17. Jahrhunderts von China aus in umliegende Länder und schliesslich in die Türkei, wo es 1718 von einer englischen Schriftstellerin (Mary Wortley Montagu) gesehen wurde. Sie liess Ihre Kinder impfen und berichtete davon in England. Schliesslich konnte sie den englischen König Georg 1. soweit von der Sache überzeugen, dass er Versuche damit an Waisen und Verbrechern machte, nachdem sich die Impfung dann in Grossbritannien verbreitete. Die Ärzteschaft blieb jedoch skeptisch bis der englische Arzt Edward Jenner ein eigenes Impfverfahren entwickelte. Das war der europäische Beginn der Entwicklung heutiger Impfungen.

Literaturliste

  • Renmin Weisheng Chubanshe 1998: Zhongyi Erkexue (gelbe Reihe)
  • Elsevier/urban&fischer, 2007, Barbara Volkmar: Fallgeschichten des Arztes Wanquan
  • Wikipedia: Impfungen
  • Cambridge University Press, ab 1954: Needham et al: science & civilization in China
  • edoc.ub.uni-muenchen.de/4341/1/Boerner_Nicole.pdf Tolerabilität von Impfstoffkombinationen bei der Immunisierung von Reisenden